Bericht
Mittwoch 27 Oktober 2021

37-Jährige startet Lehre als Winzerin beim WBZW

Jacqueline Achermann habe sich in ihrem Leben zweimal richtig verliebt, wie sie erzählt: in ihren Mann und in guten Wein. Beide Begegnungen hatten weitreichende Konsequenzen – familiäre und berufliche. Blick hat sie an ihrem Lehrort in Wädenswil ZH besucht.

Jahrelang arbeitete Jacqueline Achermann (37) aus Mettmenstetten ZH in einem grossen Unternehmen als Texterin. Dann beschloss die Mutter von drei Kindern, die vier, sechs und zehn Jahre alt sind, ihr Leben komplett umzukrempeln und einen beruflichen Neustart zu wagen. Im August startete sie eine Lehre als Winzerin.

Was sie zum Neustart bewegt hat, wisse sie heute gar nicht mehr genau, erzählt Achermann, als Blick sie an ihrem Arbeitsort in Wädenswil ZH besucht. «Es war wie so oft ein Bauchentscheid. Ich wollte das Winzer-Handwerk von Grund auf erlernen, mit allem, was dazugehört. Es fühlte sich einfach richtig an.»

Gepackt habe es sie vor zwei Jahren, als sie mit ihrer Familie durch den Balkan gereist sei und dabei auch das Weinland Slowenien passierte. «Die Landschaft hat mich gefesselt. Ich weiss noch, wie ich mich nächtelang gegoogelt habe und mich die Idee von der Winzerei nicht mehr losliess.»

Lehrstart mit 36

«Mein Mann reagierte anfangs überrascht, fand dann aber schnell Gefallen an meinem Vorhaben», erzählt Achermann weiter. «Also machte ich mich auf die Suche nach einem Weingut.» Beim Weinbauzentrum Wädenswil wurde Achermann fündig. Im August 2020 startete sie mit einem Praktikum: «Ich half überall mit: Im Keller, am Hang und auf Social Media.»

Die Arbeit machte Achermann von Anfang an viel Spass. «Ich wurde sofort mit offenen Armen empfangen, obwohl ich keinerlei landwirtschaftliche Erfahrung vorzuweisen hatte», schwärmt sie. Noch während des Praktikums bekam sie die Möglichkeit zum Start einer Lehre als Winzerin.

«Wer hätte gedacht, dass ich nach 20 Jahren nochmals ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis anstrebe?», erzählt sie lachend. Sie freue sich auf die Lehre, auch wenn ihr einige Dinge noch etwas Angst machen, zum Beispiel, wie sie die Gabelstaplerprüfung bestehen soll.

Missgeschicke und Mutterglück

Nicht alles gelingt der frischen Lernenden gut: «Ab und zu stolpere ich über Schläuche, fahre mit angezogener Handbremse Richtung Kompost, kippe die Trauben etwas gar rasant in die Abbeermaschine oder lasse Barrique-Deckel auf grosse Zehen fallen. Doch am Ende des Tages bin ich zufriedener denn je.»

Um 20 Uhr sei sie jeweils bettreif, erzählt sie weiter. Was aber ihre drei Kinder freue, deren Mutter nun plötzlich zur selben Zeit schlafen geht wie sie.

Klischees und Frauenquote

Auf die Frage, was es denn so mit den Klischees über Winzer auf sich hat, meint Achermann: «Naja, dass sie gerne trinken, stimmt schon mal. Und zwar nicht nur die eigenen Weine. Ich weiss noch, wie ich Ende meines Praktikums ein paar Flaschen Winzersekt mitgebracht habe. Das Urteil fiel nicht allzu berauschend aus – ein Räuschlein hatten danach trotzdem alle.»

Die Leidenschaft der Winzer sei ansteckend. Und auch Achermanns Leidenschaft ist ansteckend: «Winzer sprechen gerne über ihre Arbeit. Auch sind sie tolerant und neugierig. Nie bekam ich negativ zu spüren, dass ich den Bürostuhl gegen den Traktorensitz getauscht habe. Im Gegenteil: Die Freude ist stets gross, dass ich die berufliche Kurve mit Mitte Dreissig doch noch gekriegt habe.»

Zukunftspläne

Für Achermann ist es die wohl umgänglichste und sympathischste Berufsgruppe überhaupt. Jedenfalls habe sie selten so viel gelacht wie da draussen in den Rebzeilen. Auch gefällt es ihr, dass immer mehr Frauen das Ruder übernehmen; in ihrem Betrieb waren die letzten drei Lernenden allesamt Frauen.

Ob Achermann künftig hauptsächlich im Weinberg anzutreffen sein wird oder die beiden erlernter Berufe miteinander verknüpfen wird, steht noch in den Sternen - respektive in den Reben. «Möglich ist alles!» fasst sie zusammen.

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